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Wenn das Tier vergesslich wird: Demenz bei Hunden

Magdeburg/Hofheim (dpa/tmn) – Manchmal steht Jackie einfach nur da und guckt. «Er schaut ins Nichts», beschreibt seine Besitzerin diesen Zustand ihres 15 Jahre alten Jack-Russell-Terriers. Der kleine weiße Hund ist körperlich ganz fit, doch er leidet an Demenz. 

Manchmal scheint er Familienangehörige nicht zu erkennen und knurrt sie an. Oder er geht vom Haus in den Garten, läuft sofort zurück und steht kurz darauf schon wieder an der Tür, weil er raus will. «Und das 15 Mal hintereinander. Als hätte er vergessen, dass er gerade draußen war.»

Seitdem Haustiere immer älter werden, ist bei ihnen Demenz keine Seltenheit mehr. In dem Alter von Jackie sind laut einer Studie 68 Prozent der Hunde betroffen. «Ab acht Jahren kann es anfangen», sagt Julia Hauer, Oberärztin in der Neurologie der Tierklinik im hessischen Hofheim. 

Die Krankheit entwickelt sich schleichend über Monate hinweg. Anfangs sind die Symptome so unspezifisch, dass der Halter oft gar nicht realisiert, dass mit seinem Tier etwas nicht stimmt. Zumal sie auch ein Ausdruck eines normalen Alterungsprozesses sein könnten. 

Grundloses Winseln

So ist es möglich, dass betroffene Tiere viel herumwandern, vor allem nachts. Sie interagieren nicht mehr wie gewohnt mit ihren Menschen, manche werden unrein, verstehen gängige Kommandos wie «Sitz» und «Platz» nicht. 

Sie finden auf dem Boden kein Futter mehr, reagieren in bekannten Situationen plötzlich ängstlich, bellen oder winseln ohne ersichtlichen Grund. Oder sie starren immer wieder ins Nichts. 

«Wenn Tiere mit Demenzverdacht in die Sprechstunde kommen, frage ich ihre Besitzer oft, ob sie an einer ihnen bekannten Tür versuchen, an der falschen Seite hereinzugehen», nennt die Tierärztin ein weiteres mögliches Symptom.

Zudem gibt es Fragebögen, die von den Besitzern ausgefüllt werden – etwa zum Thema Angst, dem Schlafrhythmus und Stubenreinheit.

Eingehende Untersuchung

Eine Diagnose zu stellen, ist nicht einfach. Denn es gibt etliche mögliche Ursachen für Verhaltensänderungen. «Letztlich handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose», sagt der Magdeburger Tierarzt Klaus Kutschmann.

Zunächst wird der Veterinär im Gespräch beim Halter die Symptome und deren Verlauf erfragen, dann folgen die körperlichen Untersuchungen – allgemein, neurologisch und orthopädisch. Auch auf die Augen und Zähne wird geschaut.

«Die entscheidenden Untersuchungen sind das MRT und die Gehirnwasseruntersuchung», so Kutschmann. Allerdings muss hierfür das Tier jeweils in eine Vollnarkose gelegt werden, was angesichts des Alters der Patienten nicht immer ratsam ist und nicht von allen Besitzern gewünscht wird. 

Doch was tun, wenn die Diagnose Demenz lautet? «Es gibt keine Tablette, die man geben kann und dann ist alles wieder gut», erklärt Tierärztin Julia Hauer. Doch dem Hund kann das Leben leichter gemacht werden, dafür gibt es viele Möglichkeiten. 

Bessere Lebensqualität

Ganz oben steht die Frage, wie es dem Hund abgesehen von seiner Demenz geht. Hat er vielleicht Zahnweh oder Dauerschmerzen wegen einer Arthrose? Schmerz verstärkt die Symptome einer Demenz. Nimmt man ihn, verbessert das die Lebensqualität. 

Oder sieht oder hört der Hund nicht mehr gut? Dann kann sein Besitzer seine Kommunikation entsprechend anpassen, also etwa lauter reden oder Sichtkommandos geben. 

Damit der Hund nachts wieder durchschläft, kann ihm beispielsweise Melatonin gegeben werden – allerdings nur in Rücksprache mit dem Tierarzt. Das für Menschen zugelassene Melatonin ist laut Julia Hauer für Hunde nicht geeignet. Mit diesem Schlafhormon versehene Leckerlis seien ebenfalls nicht empfehlenswert, dafür ist die enthaltene Dosis zu gering.

Studien haben zudem ergeben, dass Nahrungsergänzungsmittel wie Aktivait oder Senilife die Gehirntätigkeit verbessern, wie Hauer erklärt. Das Gleiche gilt für MCT-Öl. Zudem gibt es Medikamente wie Selegilin, wobei nicht alle Tiere hierauf ansprechen.

Struktur gibt dementen Hunden Sicherheit

Essenziell ist für die vierbeinigen Demenz-Patienten auch der Tagesablauf. Er sollte einerseits auf jeden Fall eine stabile Struktur haben. Alles findet zur möglichst gleichen Zeit statt: das Aufstehen, die Gassirunden, das Fressen, das Schlafen. 

Doch es sollte auch Abwechslung eingebaut werden, empfiehlt Tierärztin Julia Hauer. Zum Beispiel immer wieder woanders spazieren gehen oder Leckerlis verstecken. Zudem sorgen neue Spielzeuge wie beispielsweise eine Schnüffeldecke für geistige Betätigung. Kutschmann rät ebenfalls zu «viel Zuwendung und Beschäftigung».

«Interessanterweise gibt es viele Parallelen von Hunden mit menschlichen Alzheimer-Patienten», so Julia Hauer. Wie beim Menschen verläuft auch die Demenz bei Tieren sehr unterschiedlich. Es ist durchaus möglich, dass der Hund gut bis zu seinem Tod mit seiner Erkrankung leben kann. 

In manchen Fällen schreitet die Krankheit jedoch schnell fort, sodass sich der Hund etwa durch seine Verwirrtheit, den Schlafentzug oder seinem ständigen Umherwandern quält. Dann kann eine Demenz laut der Hofheimer Veterinärin ein Grund dafür sein, dass Tier einzuschläfern und damit zu erlösen.

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