Close

Ackern gegen den Klimawandel: Landwirte suchen Wege

Kassel/Friedrichsdorf (dpa/lhe) – Steigende Temperaturen, Starkregenereignisse, Dürreperioden – der Klimawandel wirkt sich auch in Hessen zunehmend auf Mensch und Natur aus. Die Landwirtschaft, die stark vom Wetter abhängig ist, stellt das vor besondere Herausforderungen. «Die letzten Jahre haben mehrfach bestätigt, dass sich die hessischen Landwirte zunehmend auf extrem nasse, aber abwechselnd auch auf extrem trockene Witterungsperioden einstellen müssen», sagt Marie-Claire von Spee, Sprecherin des Hessischen Bauernverbandes.

Deren Anpassung an den Klimawandel sei bereits in vollem Gange. «Sie stellen sich beispielsweise durch ackerbauliche Maßnahmen wie eine angepasste Bodenbearbeitung, Fruchtfolgegestaltung oder Sortenwahl auf den Klimawandel ein. Zusätzlich rücken zunehmend auch Kulturen in den Fokus, die hierzulande bislang noch wenig Bedeutung haben wie Quinoa, Sojabohnen, Sorghum-Hirse und Sonnenblumen.»

«Wir beobachten bereits seit einigen Jahren auch in Hessen, dass Extremwetterereignisse in engeren Zeitabständen auftreten», sagt auch ein Sprecher des hessischen Landwirtschaftsministeriums. «Vor allem längere Trockenperioden, wie sie besonders ausgeprägt 2018, aber auch in den Jahren 2019 und 2020, vorgekommen sind, können zu empfindlichen Einbußen führen.» 2018 seien allein in Hessen finanzielle Schäden durch Ertragsausfälle in deutlich zweistelliger Millionenhöhe entstanden. «Die Landwirtschaft wird sich für derartige Ereignisse künftig besser rüsten müssen.»

Das Land setze auf Präventions- und Anpassungsmaßnahmen. Dazu gehörten die Klimaschutzberatung beim Landesbetrieb Landwirtschaft sowie die Unterstützung bei der Erforschung und Erprobung klimaangepasster Züchtungen und Anbauformen. «Wir wollen zudem neu mit der ‚Hessen-Police‘ eine finanzielle Unterstützung für den Abschluss von Mehrgefahrenversicherungen einführen.»

Staatlich bezuschusste Mehrgefahrenversicherungen können auch aus Sicht des Bauernverbandes ein Lösungsbaustein sein. «Weil einzelbetriebliche Anpassungsstrategien des Risikomanagements nur bedingt Abhilfe schaffen, gewinnen Forderungen nach staatlich unterstützten Versicherungslösungen für extreme Witterungsereignisse an Bedeutung», sagt von Spee. Ziel solle es dabei sein, eine breite Mehrheit der Landwirte für eine Teilnahme an solchen Versicherungslösungen zu gewinnen, um letztlich staatliche «Ad hoc-Hilfen» überflüssig zu machen. «Ziel der Landwirtschaft ist es, auch in Zukunft verlässlich regionale Nahrungsmittel vor Ort zu produzieren», betont die Sprecherin.

Auch die Wissenschaft sucht Wege, wie sich die Landwirtschaft auf die veränderten Bedingungen einstellen kann. Auf den Versuchsfeldern der Hessischen Staatsdomäne Frankenhausen etwa wollen Forscherinnen und Forscher der Universität Kassel verschiedene Verfahren für den Anbau von Lauch und Karotten erproben. Im Rahmen des Projektes «Bio-Klimagemüse» untersuchen sie, wie der biologische Anbau von Möhren und Porree mit weniger Bewässerung auskommen kann.

«Wir werden mit flacheren und breiteren Möhrendämmen statt Einzeldämmen experimentieren», sagt Projektleiterin Margita Hefner. «Das soll den Wasserbedarf senken.» Zudem werde das Mulchen, also Abdecken der Reihenzwischenräume von Gemüse mit organischem Material, untersucht. Das soll den Boden vor Austrocknung ebenso wie vor Starkregen schützen. Gleichzeitig soll in dem vom Land Hessen geförderten Projekt untersucht werden, wie die Produkte in der Region weiterverarbeitet und vermarktet werden können. Denn das sei die große Frage, die sich den Landwirten stelle, sagt die Co-Koordinatorin des Projektes Silke Flörke.

Das berichtet auch Lisa Fröhlich vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH). «Viele Betriebe sind offen für neue Anbauformen. Aber ihnen stellt sich immer die Frage, welche Risiken sie bergen, wie die Produkte vermarktet werden können und ob sich der Mehraufwand am Ende rechnet.» Beim Anbau klimaresilienter Sorten wie Kichererbsen oder Quinoa seien fehlende Absatzmärkte und die Unsicherheit der Vermarktung die größten Hürden.

Die Herausforderungen für die Betriebe seien groß. «Einerseits müssen sie Erosionsschutzmaßnahmen ergreifen, um den Abtrag fruchtbaren Bodens durch Wasser- und Winderosion zu verhindern. Andererseits mangelt es oft an Wasser, wenn es gebraucht wird», schildert Fröhlich. Die zunehmende Sommertrockenheit falle in die kritische Entwicklungsphase vieler Kulturen. Die milderen Winter begünstigten die Schädlingspopulationen und trügen zur Verbreitung invasiver Arten wie der Kirschessigfliege bei. «Zudem treiben die Pflanzen früher aus.» Spätfröste bedrohten insbesondere die Obst- und Weinernte, weil die Pflanzen dann schon im Wachstum seien und Blüten und Blätter erfrören. «Auch die Nutztiere sind von den Folgen des Klimawandels betroffen. Kühe beispielsweise reagieren sehr empfindlich auf hohe Temperaturen im Sommer.»

Dem begegnen die Betriebe laut Fröhlich unter anderem mit offenen und belüfteten Stallungen, mit neuen Anbaukulturen, einer Anpassung der Aussaattermine, einer vielseitigen Fruchtfolge und einer möglichst ganzjährigen Bodenabdeckung etwa mit Mulch. Gleichzeitig seien die Landwirte bemüht, ihre Emissionen zu reduzieren und so dem Klimawandel entgegenzuwirken. «Zur Lösung dieser vielfältigen Herausforderungen bedarf es vielfältiger Ansätze. Es gibt nicht die eine Lösung für alle», sagt Fröhlich. Es müsse für jeden Betrieb individuell bewertet werden, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll sei und wie er sich langfristig gut aufstellen können.

Für die Zukunft aufgestellt haben sich auch die Geschwister Constanze und Albert Bickert, die in der Wetterau neben klassischen Kulturen Kichererbsen anbauen. 2018 habe der Familienbetrieb in Friedberg mit dem Anbau der wärmeliebenden Hülsenfrucht begonnen, «aus Neugierde, etwas Neues auszuprobieren, aber auch weil die Sommer mittlerweile so trocken sind», sagt Constanze Bickert. Seither haben die beiden Agrarwissenschaftler das Sortiment stetig erweitert und bauen inzwischen verschiedenste Hülsenfrüchte wie rote Linsen und Kidneybohnen an. «Wir mussten viel lernen, es gab viele ackerbauliche Fragen.» Die Absatzmärkte hätten sie sich selbst erschließen müssen. «Dazu mussten wir viel Klinken putzen am Telefon.» Besonders seit der Coronapandemie sei die Nachfrage nach den heimischen Hülsenfrüchten aber gestiegen. «Es ist ein langer Weg, aber mittlerweile sind wir optimistisch», bilanziert die Landwirtin.

Skip to content