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Riedstadt (dpa/lhe) – «Es macht mich fassungslos und betroffen», sagt Marcus Kretschmann. Der Bürgermeister von Riedstadt in Hessen steht vor der rund 200 Jahre alten Karl-Spengler-Eiche. Der Baum wurde Opfer einer Giftattacke. Aus der Bevölkerung erreichten ihn zahlreiche Rückmeldungen, erzählt der CDU-Politiker. Die Menschen seien geschockt, könnten sich die Taten nicht erklären. 

Vor wenigen Tagen war bekanntgeworden, dass in Riedstadt-Goddelau acht Eichen, ein Walnussbaum und eine Rosskastanie mit einem Herbizid vergiftet wurden. Die Chemikalie gelangte nach Angaben der Stadt über gebohrte Löcher in die Stämme. Die betroffenen Bäume geben ein trauriges Bild ab, einige Äste sind kahl, viele Blätter verkümmert. Ähnliche Fälle von Baumvergiftungen in Hessen hatte es zuletzt in Frankfurt, Limburg, Butzbach und Bad Hersfeld gegeben.

Die Karl-Spengler-Eiche sei für die Menschen der Region mehr als ein Baum, betont Kretschmann. Sie erinnert an den langjährigen Feldschütz. Der Ort sei seit über 30 Jahren ein Naturdenkmal und beliebtes Ausflugsziel im Feld außerhalb der Ortschaft. In seinem Schatten seien schon Kindergeburtstage gefeiert worden, erzählt der Bürgermeister. 

Die Stadtverwaltung Riedstadt hat Anzeige gegen unbekannt gestellt und eine Belohnung von 500 Euro ausgesetzt – derzeit wird über eine Aufstockung nachgedacht. Er könne sich nicht erklären, wie sich jemand zu einer solchen Tat habe hinreißen lassen, sagt Kretschmann. «Einen Kinderstreich können wir ausschließen.» Es gehörten eine «gewisse kriminelle Energie» und Planung dazu.

Celine aus Riedstadt ist auf einem Spaziergang bei der Eiche unterwegs. Sie habe ein mulmiges Gefühl und Angst, dass in Zukunft noch mehr Bäume betroffen sein könnten, sagt die junge Frau. Die Taten seien ihrer Ansicht nach vergleichbar mit Attacken gegen unschuldige Kinder, erklärt Celine. «Was soll der Baum denn machen, der kann sich ja nicht wehren.» 

«Wir hätten nie gedacht, dass jemand in der freien Landschaft Bäume vergiftet», sagt Holger Schanz, Leiter der Fachgruppe Umwelt in Riedstadt. Aus Städten sei bekannt, dass unbeliebte Bäume Opfer von Vandalismus würden. «Dies hier macht uns einfach fassungslos.» Über die Intention des Täters könne man nur spekulieren.

Was sagen Experten zu möglichen Motiven? «Jemandem, der heimlich und gezielt ohne ersichtlichen Grund Bäume vergiftet, geht es vor allem um sadistische Macht und um Aufmerksamkeit», erklärt der Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff. «Gerade die bei uns kulturell als väterliches Symbol von Stärke, Langlebigkeit und Dominanz aufgeladene „deutsche“ Eiche für alle sichtbar zugrunde gehen zu lassen, dabei zuzusehen, wie sie langsam stirbt und sich nicht wehren kann, bietet dem Täter einen narzisstischen Triumph.»

Der Psychiater erkennt Hinweise, dass der Täter «sich im Kern sehr klein fühlen muss und in seinem Leben sonst nur wenig Bestätigung erfährt». Die Aufmerksamkeit, die er jetzt in den Medien bekomme, verstärke noch seinen Triumph und sporne ihn regelrecht an, weiterzumachen, sagt Thomashoff.

Als bei den Riedstädter Bäumen die ersten Schäden bemerkt worden seien, habe man erst auf einen Schädlingsbefall getippt, berichtet Holger Schanz. Als dies als Ursache ausgeschlossen wurde, kam der Verdacht auf ein Herbizid auf – und es wurden die rund 15 Millimeter breiten und 20 Zentimeter tiefen Bohrlöcher entdeckt. Proben von einem der Bäume brachten es ans Licht: Es war Pflanzengift.

Riedstadt versucht, die Karl-Spengler-Eiche zu retten. Der Stamm ist in einem weiten Kreis mit Flatterband abgesperrt, damit Landmaschinen ferngehalten werden und der Boden nicht zusätzlich verdichtet wird. «Zudem bringen der Bauhof und die Freiwillige Feuerwehr jede Woche einige Tausend Liter Wasser auf die Fläche», sagt Schanz und hofft, dass der Baum im nächsten Jahr wieder austreibt. Es könne durchaus sein, dass die Eiche überlebe. Es könne aber auch passieren, dass der Baum das Herbizid eingelagert habe und der Stoff im nächsten Jahr weitere Schäden verursache.

«Gerade eine Eiche ist ein Hotspot der Artenvielfalt», bekräftigt Schanz. «An einer Eiche gibt es wahnsinnig viele Insektenarten, die dort ihre Heimat finden.» Am Stamm der angeschlagenen Karl-Spengler-Eiche sind zahlreiche Ameisen unterwegs, Schmetterlinge saugen an Baumsäften. Außerdem leben unter anderem Hirschkäfer und Eichenheldbock-Käfer am Baum. Doch selbst wenn der Baum überlebt: «Er wird auf jeden Fall nicht mehr so imposant aussehen, wie er die ganzen Jahre hier stand».

Die Polizei ermittelt wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung, wie der Sprecher des Polizeipräsidiums Darmstadt, Bernd Hochstädter, erklärt. «Was meine Kollegen vom Umweltdezernat derzeit besonders interessiert ist, wo steckt die Motivation.» Allerdings tappten die Ermittler noch «komplett im Dunkeln» – und bäten Zeugen, sich zu melden. 

Zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung zählt unter anderem, wenn Naturdenkmäler betroffen sind – es drohen laut Strafgesetzbuch Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.

Bei Attacken gegen Bäume kann es durchaus empfindliche Strafen geben, wie ein Fall aus Großbritannien zeigt. Dort wurden zwei Männer zu mehr als vier Jahren Haft verurteilt, weil sie den aus dem Film «Robin Hood – König der Diebe» bekannten Bergahorn am Hadrianswall gefällt hatten.

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