Berlin (dpa) – Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat den Weg frei gemacht für den «Volksentscheid Berlin autofrei». Die Initiatoren können ihr Gesetzesvorhaben für ein weitgehendes Autoverbot in der Hauptstadt weiter verfolgen. Das höchste Berliner Gericht erklärte den Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens für zulässig.
Es widersprach damit der Einschätzung des Senats. Dieser hielt das in einem Gesetzentwurf formulierte Ziel für verfassungsrechtlich bedenklich und hatte daher die Richterinnen und Richter bereits 2022 um eine Prüfung gebeten, ob ein solcher Volksentscheid überhaupt zulässig wäre.
«Jetzt müssen wir die Berliner Verkehrspolitik aus dem Rückwärtsgang herausholen und endlich mit der Verkehrswende vorankommen», sagte Marie Wagner, Sprecherin der Initiative. «Wir stehen für eine Stadt, die den Menschen gehört, in der wir unsere Kieze selbst gestalten, mit lebendigen Straßen und sauberer Luft.»
Faktisches Autoverbot innerhalb des S-Bahn-Ringes
Nach den Plänen der Initiative sollen nach einer Übergangszeit von vier Jahren fast alle Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings mit Ausnahme der Bundesstraßen zu «autoreduzierten Straßen» erklärt werden. Private Autofahrten sollen pro Person nur bis zu zwölfmal im Jahr möglich sein.
Ausnahmen von dem faktischen Autoverbot soll es demnach für Menschen mit Behinderung, Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxen sowie Wirtschafts- und Lieferverkehr geben. Das gilt auch für Busse.
Gericht: Kein Anspruch auf unveränderte Bedingungen
Dem Gericht sei bewusst, dass es im Fall einer Umsetzung der Pläne zu erheblichen Änderungen und auch Einschränkungen käme, erklärte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting. Es bestehe aber kein Anspruch darauf, dass die Rahmenbedingungen für immer unverändert blieben. «Das Straßennetz steht den Menschen weiter zur Verfügung», erklärte sie.
Zugleich betonte Selting, dass das Gericht nicht darüber entschieden habe, ob Berlin autofrei werde. Dies obliege den Berlinerinnen und Berlinern. Der Verfassungsgerichtshof habe lediglich zu beurteilen gehabt, ob sich der Gesetzentwurf im rechtlichen Grenzen bewege. Die Entscheidung fiel mit acht zu einer Stimme deutlich aus. Ein Richter hat ein Sondervotum verfasst.
Der Gesetzesentwurf ist demnach vereinbar mit der Berliner Verfassung, dem Grundgesetz sowie Bundesrecht. «Der Landesgesetzgeber darf einen neuen Straßenraum schaffen», sagte Gerichtspräsidentin Selting. Er habe nach dem Straßenrecht einen Gestaltungsfreiraum.
Bei der Entscheidung prüfte das Gericht auch mögliche Verletzungen von Grundrechten, wie etwa das Recht auf Berufsausübungsfreiheit. Denn eine autofreie Innenstadt hätte Auswirkungen auf Betriebe wie Kfz-Werkstätten oder Tankstellen. Auch Eigentumsrechte könnten tangiert werden, weil Autobesitzer ihre Fahrzeuge nur noch eingeschränkt nutzen könnten. Aus Sicht der Richterinnen und Richter ist die Verhältnismäßigkeit jedoch gewahrt.
Verbände: Autoverbot wäre schwerer Schlag
Der Anwalt der Initiative, Philipp Schulte, zeigte sich zufrieden über die «umfassende rechtliche Prüfung» des Gesetzentwurfes. «Das Gericht hat unsere Auffassung bestätigt: Es gibt nach der Verfassung natürlich kein Grundrecht auf hemmungsloses Autofahren.»
Kritik kam von der Vereinigung der Unternehmensverbände
in Berlin und Brandenburg: «Das Autofahren in Berlins Innenstadt weitgehend verbieten zu wollen, wäre ein schwerer Schlag für die Wirtschaft in der Hauptstadtregion», erklärte Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp.
Initiative kann nächsten Schritt einleiten
Mit der Entscheidung ist die Initiative einen wesentlichen Schritt weiter. Zunächst muss nun das Abgeordnetenhaus über den Gesetzentwurf beraten. Der Anwalt der Initiative empfahl den Politikern, den «Impuls aus der Bevölkerung» anzunehmen und das Gesetz zu übernehmen. «Das würde uns viel Arbeit ersparen und den dringend notwendigen Klima- und Gesundheitsschutz im Bereich der Mobilität in Berlin einen großen Schritt voranbringen», sagte Schulte.
Die Initiative hält es aber selbst für eher unwahrscheinlich, dass dies geschieht. Sie würde dann die nächste Phase des Volksbegehrens einleiten. Dafür gelte es, genügend Mitstreiter und Geld aufzubringen, so Sprecher Benni Wasmer. Es sei von einer «sechsstelligen Summe» auszugehen.
Innerhalb von vier Monaten müssen die Unterschriften von mindestens sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten gesammelt werden. Das sind derzeit rund 170.000 Menschen.
50.000 Unterschriften für das Anliegen
Gelingt das, würde ein Volksentscheid folgen, bei dem wie bei einer Wahl über den Gesetzentwurf abgestimmt wird. Der Volksentscheid wäre erfolgreich und würde das Gesetz in Kraft setzen, wenn eine Mehrheit der Wähler und zugleich mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten zugestimmt haben.
Die Initiative hatte im Sommer 2021 mehr als 50.000 Unterschriften für die Einleitung eines entsprechenden Volksbegehrens zur Verkehrswende gesammelt. Nötig waren in dieser ersten Phase des Volksbegehrens 20.000 gültige Stimmen. Doch zum nächsten Sammelschritt kam es nicht: Der Senat schaltete das Verfassungsgericht ein.