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Schutzgebiet bei Boppard als «Hotspot der Biodiversität»

Boppard (dpa/lrs) – Nach Einschätzung des renommierten Insektenforschers Martin Sorg zeigt das Beispiel eines Naturschutzgebiets in Rheinland-Pfalz, wie Artenschutz gelingen kann. Der Krefelder Wissenschaftler widmete sich in einer Studie den Gründen für den großen Artenreichtum im Schutzgebiet «Hintere Dick», er und Klimaschutzministerin Katrin Eder (Grüne) stellten Details dazu am Dienstag gemeinsam vor.

Sorg war im Zusammenhang mit einer Studie aus dem Jahr 2017 bekannt geworden. Kernaussage dieser Untersuchung des Entomologischen Vereins Krefeld (EVK) war, dass in Teilen Deutschlands die Zahl der Fluginsekten erheblich zurückgegangen ist. Die Studie hatte einen Rückgang der Gesamtmasse an Fluginsekten zwischen 1989 und 2016 um 75 Prozent nachweisen können und sorgte sogar weltweit für Aufsehen.

Für diese Studie waren auch Daten in Rheinland-Pfalz gesammelt worden mit Hilfe von vom EVK eigens entwickelter Fallen, in denen Insekten gesammelt und dann gentechnisch analysiert werden. Vor wenigen Jahren wurde fünf solcher Fallen in der «Hinteren Dick» in Guckweite zum Rhein aufgestellt. Dabei konnten rund 3500 Insektenarten direkt identifiziert werden. Aufgrund weiterer entdeckter Gensequenzen ist Sorg zufolge von mindestens 1500 weiteren Arten auszugehen, also insgesamt rund 5000. Das sei die höchste aktuell bekannte Insektendiversität in Rheinland-Pfalz und vermutlich im Vergleich mit ähnlich großen Schutzgebieten auch in ganz Deutschland.

Die hohe Insektendichte in dem Gebiet bei Boppard sorge dafür, dass dort auch seltene, insektenfressende Vögel heimisch seien. So gebe es in Deutschland fast nirgendwo mehr Wendehälse, eine Art aus der Familie der Spechtvögel. Auch der seltene Mittelspecht oder der Neuntöter kämen dort vor, zuletzt waren an der «Hinteren Dick» elf Neuntöter-Paare gesichtet worden. Zu finden ist dort etwa auch der Sandlaufkäfer, der offene Flächen braucht, oder das Widderchen, eine Schmetterlingsart, die magere Wiesen benötigt. «Das alles gelingt jedoch nur durch entsprechende Pflegemaßnahmen», betonte Sorg.

Warum also tummeln sich ausgerechnet in der «Hinteren Dick» so viele anderswo seltene Insekten oder Vögel? Dieser Frage ging die jüngste Studie Sorgs nach, die das Land Rheinland-Pfalz mit 69.000 Euro förderte. Ein Ergebnis: Das seit 1998 existierende Naturschutzgebiet bei Boppard mit seinem Bestand an Streuobstbäumen ist recht gut gegen den Eintrag etwa von Stickstoffen und Pestiziden geschützt – dank einer Kessellage und dank der vergleichsweise großen Fläche, wie das Klimaschutzministerium in Mainz erklärte.

Darüber hinaus werden hier Flächen mit Rindern, Ziegen und Schafen beweidet. Die Beweidung verhindert eine allzu starke Verbuschung von Flächen. Damit haben Blühpflanzen bessere Chancen, auf die wiederum viele Insekten angewiesen sind. «Das Naturschutzgebiet «Hintere Dick» ist ein Vorzeigebeispiel dafür, wie Artenschutz gelingen kann», sagte Sorg. Es sei ein «echter Hotspot der Biodiversität».

Ministerin Eder sagte bei dem Besuch in dem Naturschutzgebiet, der Erhalt der Artenvielfalt sei neben dem Klimaschutz die größte Herausforderung. «Sind Arten ausgestorben, sind sie unwiederbringlich verschwunden – und damit auch ihre jetzige und künftige Funktion im Ökosystem.» Fehle es an Bestäubung durch Insekten, wirke sich das auf Erntemengen aus. Manche Insekten seien wichtig für die Reinigung von Böden und Gewässern, und Funktionen anderer Insektenarten seien noch gar nicht bekannt. Es müsse alles daran gesetzt werden, die Artenvielfalt zu erhalten.

Dass dafür noch längst nicht genug getan wird, zeigen Studien immer wieder. Gerade wurde eine Studie aus Frankreich bekannt, wonach die Bestände von Vögeln in Europa von 1980 bis 2016 um rund ein Viertel zurückgegangen sind. Ursachen dafür sind demnach eine intensive Landwirtschaft, Verstädterung und der Temperaturanstieg. Untersuchungen des Forschungsprojekts «DINA» (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen) unter der Leitung des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) zeigte kürzlich, dass das deutschlandweite Insektensterben selbst in Naturschutzgebieten weiter voranschreitet.

Wie schlimm die Lage in Rheinland-Pfalz genau ist, sei schwer einzuschätzen, sagte Wiebke Pasligh, Referentin für Natur- und Artenschutz beim Naturschutzbund (Nabu) Rheinland-Pfalz. Dafür sei die Datengrundlage zu dünn. «Fakt ist aber, dass es wie bundesweit auch dramatisch sein muss.» Der Rückgang beziehe sich auf stark bedrohte seltene Arten, aber auch auf noch häufige «Allerweltsarten».

Wegen des großen Verlusts an Insektenbiomasse fänden viele Brutvögel immer weniger Nahrung zur Aufzucht von Jungen, erklärte Pasligh. «Insekten sind elementarer Bestandteil von enorm vielen Nahrungsketten.» Und eine Vielfalt an Bestäubern sei wichtig für den Fortbestand von Pflanzen, darunter etwa auch Obstbäume.

Es lohnt sich im Sinne des Artenschutzes also, wie in der «Hinteren Dick» unter anderem Flächen durch Beweidung und Mahd offen zu halten. Ganz billig ist die Pflege eines solchen Gebiets freilich nicht. Allein in dieses Areal floss nach Angaben des Klimaschutzministeriums in den vergangenen 30 Jahren rund eine Million Euro aus verschiedensten Fördertöpfen.

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