Kaiserslautern (dpa) – Äpfel aus Südtirol liegen sehr häufig in Supermarktregalen. Für perfekt aussehende Früchte werden im Jahresverlauf mehrfach Pestizide eingesetzt – und die finden sich inzwischen weitverbreitet nicht nur auf den Anbauflächen der Region, wie ein Forschungsteam im Fachjournal «Communications Earth & Environment» berichtet.
Der Vinschgau im Westen Südtirols ist das größte zusammenhängende Apfelanbaugebiet in Europa. Pestizide seien dort im ganzen Tal bis in Höhenlagen zu finden, auch in Schutzgebieten.
Im Vinschgau in der nördlichsten Provinz Italiens sind über 7000 Apfelbauern tätig, die zehn Prozent aller europäischen Äpfel produzieren, wie es in der Studie heißt. Der konventionelle Anbau setze dort bei der Bekämpfung von Schädlingen wie dem Apfelwickler und Pilzkrankheiten vor allem auf synthetische Pestizide, die mit Gebläsen verteilt werden. Dadurch sei vor allem bei Wind eine hohe Abdrift in die Umgebung möglich.
Mögliche Belastung von Insekten in Naturschutzgebieten
Das Team um den Umweltwissenschaftler Carsten Brühl von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) untersuchte elf sogenannte Höhentransekte entlang der Talachse – Strecken vom Talboden bis auf die Berggipfel. Entlang dieser Strecken wurden an vier Tagen im Mai 2022 auf Höhenstufen alle 300 Meter Proben genommen – Pflanzenmaterial und Bodenproben von insgesamt 53 Standorten.
«Aus ökotoxikologischer Sicht ist das Vinschgauer Tal besonders interessant, da man im Tal hochintensiven Anbau mit vielen Pestiziden hat und auf den Bergen empfindliche alpine Ökosysteme, die teilweise auch streng geschützt sind», erläuterte Brühl.
Vorangegangene Studien hätten für andere Regionen bereits gezeigt, dass sich Pestizide deutlich über die landwirtschaftlich genutzte Fläche hinaus ausbreiten und etwa Insekten in Naturschutzgebieten belasten können. Anders als bisher gemeinhin angenommen seien die Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel auch im Vinschgau nicht nur in den Anlagen und der näheren Umgebung zu finden, berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Die gefundenen Pestizidmengen nähmen zwar in den Höhen und mit Abstand zu den Apfelplantagen ab, aber selbst im oberen Vinschgau mit kaum Apfelanbau seien noch mehrere Substanzen im Boden und in der Vegetation nachzuweisen. «Wir fanden die Mittel in entlegenen Bergtälern, auf den Gipfeln und in Nationalparks. Dort haben sie nichts verloren», sagte Brühl. Ursache der weiten Verbreitung seien wahrscheinlich die teilweise starken Talwinde und die Thermik im Vinschgau.
Auswirkungen unklar
Bereits in den gemessenen niedrigen Konzentrationen können Pestizide zu sogenannten sublethalen, also nicht direkt tödlichen Effekten bei Organismen führen, erläutern die Forschenden. Für Schmetterlinge sei etwa eine Verringerung der Eiablage denkbar. Bisher sei allerdings weitgehend unklar, wie sich chronische Belastungen mit Pestiziden in niedrigen Konzentrationen sowie Mischungen verschiedener Pestizide auswirkten.
Bei der Umweltrisikobewertung im Rahmen von Zulassungsverfahren würden solche Mischungen nicht berücksichtigt, sondern die Stoffe einzeln betrachtet. «Mit der Realität der Anwendungen auf dem Acker oder in der Obstplantage und dem Verbleib in der Umwelt hat dies nichts zu tun», so Brühl.
Insgesamt wurden von den Forschenden 27 Pestizide – 10 Insektizide, 11 Fungizide und 6 Herbizide – nachgewiesen. «Die Konzentrationen, die wir fanden, waren zwar nicht hoch, aber es ist erwiesen, dass Pestizide das Bodenleben schon bei sehr geringen Konzentrationen beeinträchtigen», erklärte Mitautor Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU).
Technik der Pestizidausbringung verbesserungswürdig
Die Messungen seien zudem Anfang Mai durchgeführt worden, im Verlauf der Wachstumssaison bis zur Ernte kämen weitere Mittel zum Einsatz, so die Forschenden. Dutzende Anwendungen von Pestiziden während der Saison seien im Mittel im konventionellen Anbau üblich – in der Folge seien komplexere Mischungen mehrerer Substanzen und zeitweise auftretende höhere Konzentrationen wahrscheinlich.
Besonders kontaminiert waren der Analyse zufolge Talwiesen in der Nähe von Apfelplantagen, aber selbst auf abgelegenen Bergwiesen in mehr als 2000 Metern Höhe wurden Pestizidrückstände gefunden. Zu den nachgewiesenen Substanzen zählte das Insektizid Methoxyfenozid. Es sei in fast der Hälfte der Boden- und Pflanzenproben zu finden gewesen, hieß es. In Deutschland sei der Einsatz von Methoxyfenozid aufgrund seiner Umweltschädlichkeit seit 2018 verboten.
Die Technik der Pestizidausbringung im Apfelanbau sei offenbar verbesserungswürdig, schließt das Team aus den Ergebnissen. Nötig sei eine drastische Reduzierung des Pestizideinsatzes. Wichtig sei auch, die sogenannte funktionale Biodiversität in den Apfelanlagen und deren Umgebung zu fördern – etwa mit naturnahem, blütenreichem Grasland, um natürlichen Gegenspielern von Apfelschädlingen mehr Lebensraum zu bieten. Gefragt sind jedoch auch Verbraucher und Supermärkte, so die Forscher: Mehr Akzeptanz von nicht ganz so perfekt aussehenden Äpfeln sei nötig, wie sie beim Einsatz von weniger oder keinen Pestiziden häufig entstehen.