Bremen (dpa/lni) – Das vorläufige Aus für «grünen Stahl» in Bremen sorgt in der Region für Verunsicherung und viele Fragen. Was bedeutet die Entscheidung des Konzerns ArcelorMittal, das Bremer Stahlwerk erst einmal nicht auf eine klimaneutrale Produktion ohne Kohleverbrennung umzustellen?
Warum wird ArcelorMittal das Bremer Werk vorerst nicht klimaneutral umbauen?
Der Umbau ist aus Sicht des Konzerns nicht wirtschaftlich. Voraussetzung dafür seien wettbewerbsfähige Strompreise und ausreichend Wasserstoff – beides gebe es in Deutschland derzeit nicht. «Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell», sagte Reiner Blaschek, Chef der europäischen Flachstahlsparte von ArcelorMittal. Daran ändere auch die staatliche Förderung von Hunderten Millionen Euro nichts.
Was bedeutet die Entscheidung für die Zukunft des Bremer Werkes?
Nach den bisherigen Plänen sollten die beiden Hochöfen stillgelegt und durch eine sogenannte Direktreduktions-Anlage (DRI) ersetzt werden, die mit umweltfreundlichem Wasserstoff arbeitet. Im Juni sollten die Bauarbeiten beginnen. Daraus wird nun erst einmal nichts. Zudem sollte ein Elektrolichtbogenofen zum Einschmelzen und Gießen aufgebaut werden. Der Konzern möchte sich nun nach eigenen Angaben auf die Planung zum Bau solcher Elektrolichtbogenöfen konzentrieren. So soll das Werk vorbereitet sein, wenn die Produktion mit Elektrolichtbogenöfen dort wirtschaftlich sei.
Müssen sich Beschäftigte Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen?
Die Umrüstung der Bremer Hütte galt als Voraussetzung dafür, dass das Werk wettbewerbsfähig bleibt. «Es gibt jetzt keine akute Existenzbedrohung», sagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), der die Entscheidung des Unternehmens sehr kritisch sieht. Das Werk leide zwar unter der allgemeinen Stahlkrise, es sei aber ausgelastet und leistungsfähig. Aber: «Was ist in fünf oder sechs Jahren, wenn die konventionelle Technologie an ein Ende kommt, weil man dann mit den CO2-Preisen nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren kann?»
Aus Sicht des Bremer Regierungschefs ist die Umstellung auf eine klimafreundlichere Produktion ohne Alternative. Von ArcelorMittal forderte er einen Plan, damit der Bremer Standort auch in Zukunft wettbewerbsfähig sein kann. Im Bremer Stahlwerk arbeiten derzeit mehr als 3.000 Beschäftigte, viele weitere Arbeitsplätze hängen davon ab. Insgesamt gehe um rund 10.000 Jobs, so Bovenschulte. Die Hütte ist einer der größten Arbeitgeber in Bremen und Umgebung.
Was fordert die Gewerkschaft IG Metall?
Die Gewerkschaft hat den Stahlkonzern ArcelorMittal wegen des Kurswechsels scharf kritisiert. Die Entscheidung sei strategisch kurzsichtig, unternehmerisch falsch und mit Blick auf die Beschäftigten wie auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen in höchstem Maße unverantwortlich, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft.
Vertreter der IG Metall Küste kündigten eine Auseinandersetzung an. Der nötige Umbau werde verschleppt. «Das ist nicht akzeptabel», sagte der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich. «Die Zukunft muss gestaltet werden und da werden wir jetzt weiter in die Auseinandersetzung gehen müssen.»
Am Montag wollen Gewerkschaftsvertreter mit den wirtschaftspolitischen Sprechern und Vorsitzenden der Bremer Fraktionen sprechen. Außerdem rufen Gewerkschaft und Betriebsrat die Beschäftigten am Dienstag zu einer Kundgebung vor dem Verwaltungsgebäude des Werkes auf.
Welche Auswirkungen hat die Entscheidung für die Klimaziele?
Das Stahlwerk ist für die Hälfte der CO2-Emissionen in Bremen verantwortlich. Es spielt eine Schlüsselrolle, ob Klimaziele erreicht werden oder nicht. Bremen wollte ursprünglich bis 2038 klimaneutral sein – diese Pläne sind nun in Gefahr.
«Die Entscheidung aus der europäischen Konzernzentrale, das gemeinsame Ziel von in Bremen produzierten, grünem Stahl nun nicht weiter zu verfolgen, ist ein herber Rückschlag für den Technologiestandort, für die Mitarbeitenden bei Arcelor Mittal und für den Klimaschutz hier in Bremen», sagte Bremens Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne). Das stelle den Senat nun vor neue Herausforderungen, um die Klimaziele im Bereich Wirtschaft zu erreichen.
Der Konzern erklärte zwar, er halte an dem Ziel fest, die CO2-Bilanz seiner Anlagen zu verbessern. Demnach wird es aber zunehmend unwahrscheinlicher, die CO2-Reduktionsziele bis 2030 zu erreichen. «Es wird immer deutlicher, dass die Energiewende in allen Bereichen langsamer als erwartet vorankommt», teilte das Unternehmen mit.
Was passiert mit den versprochenen staatlichen Fördergeldern?
Mit dem Stopp der Umbaupläne hat der Konzern keinen Anspruch auf staatliche Fördergelder. Es seien bisher auch noch keine Gelder geflossen, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Rund 600 Millionen Euro hatte der Bund in Aussicht gestellt, der Bremer Senat wollte weitere 250 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
«Es ist nicht ein Cent bisher geflossen», betonte Bremens Regierungschef Bovenschulte. Nach Angaben aus dem Bremer Finanzressorts liegt das Geld aus Notlagekrediten in einem Treuhandvermögen bei der Bremer Aufbaubank. «Wie mit diesen Mitteln umgegangen werden muss, bedarf einer komplexen rechtlichen Prüfung, die Zeit in Anspruch nehmen wird», teilte ein Sprecher mit. «Ausgeschlossen ist, dass diese Mittel neue Spielräume im Haushalt eröffnen.»
Wie gehen andere Stahlkonzerne mit der Umstellung um?
Anders als ArcelorMittal hält der Stahlkonzern Salzgitter an seinen Grünstahl-Plänen fest. Die Umsetzung der ersten Stufe sei «bereits sehr weit fortgeschritten und wird wie geplant weiter vorangetrieben», sagte eine Firmensprecherin auf Anfrage. Die Entscheidung von ArcelorMittal bezeichnete sie aber als «deutliches Signal dafür, dass die Rahmenbedingungen für Transformationsprojekte verbessert werden müssen». Die Industrie brauche mehr Wasserstoff und wettbewerbsfähige Strompreise.
In Salzgitter läuft der Umbau bereits seit Ende 2023. 2027 soll die erste Anlage in Betrieb gehen. Deutschlands drittgrößter Stahlkonzern investiert dafür mehr als zwei Milliarden Euro, davon eine Milliarde Euro, die Bund und Land zuschießen. Bis 2033 will das Unternehmen komplett auf grünen Stahl umstellen. Auch ThyssenKrupp Steel will an dem bereits laufenden Umbau in Duisburg festhalten.